Der Mann des Maktub
„Mein Maktub fand an einem Frühlingssonntag am Strand von Le Esperidi statt. Es war nachmittags, ich traf zufällig Herrn Umberto und hatte die Gelegenheit, meine besten Fähigkeiten unter Beweis stellen: die Redseligkeit und die Entschlossenheit. Dieser Moment war grundlegend, um Teil dieser Familie zu werden.“
Der Strand von Le Esperidi wäre nicht derselbe ohne Cerci, seinen Wächter.
Ein unermüdlicher Arbeiter, den man von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang mit Sonnenliegen und Sonnenschirmen im Sand hin und her gehen sieht. Wenn wir seine körperliche Aktivität mit einer App überwachen könnten, würde diese mindestens 20.000 Schritte pro Tag anzeigen! Weit mehr als nur ein Fitnessstudio … Ich frage mich, wie er bei all dem körperlichen Training, das er macht, immer noch diesen runden Bauch haben kann! Diese Frohnatur kennt und erkennt jeden auch aus der Ferne. Seine Stimme ist unverwechselbar und er schafft es, alle Probleme perfekt zu bewältigen, die zwischen den Gästen, aber auch mit den Straßenverkäufern, die in der Gegend vorbeikommen, auftreten können. Ich glaube, dass diese Fähigkeiten auf seine umfangreiche Lebenserfahrung zurückzuführen sind, die er im Leben gesammelt hat, zuerst in Marokko und dann auf den italienischen Märkten. Aufgeweckter, strahlender Blick und großherziges Wesen. Seine Schläue hat sich als großes Potenzial offenbart, das ihn, gepaart mit extremer Korrektheit und Moral, zu einer der Schlüsselfiguren im Leben dieser Familie macht.
Als ich ihn das erste Mal sah, sagte er zu mir: „Es war mein Schicksal, hier zu landen, Maktub.“
Maktub ist ein arabisches Wort, das mich schon immer fasziniert hat. Ich fand es zum ersten Mal in einem Buch geschrieben, das mir im Alter von 20 Jahren empfohlen wurde und mit der Zeit zu meinem Steckenpferd wurde: „Der Alchemist“ von Paulo Coelho. Es bedeutet „so steht es geschrieben“, eine Aussage, die zeigen will, dass das Schicksal die Hauptdeterminante seiner selbst ist und dass es keine äußeren Kräfte gibt, die es unterbrechen können. Niemand hat die Fähigkeit, es zu ändern: Es ist ein Schlüsselprinzip für die Muslime. Die Religion des Islam glaubt, dass große Ereignisse prädestiniert sind: Viele blicken daher optimistisch in ihre Zukunft und auf ihr Schicksal, denn Gott, der alles bestimmt und geschrieben hat, ist jede Sache bereits bekannt. Und so brauchen die Menschen keine Angst zu haben, denn alles geschieht aus einem Grund und wir alle sind in Gottes Hand. Gott weiß, was in unserem Leben passieren wird, weil er unsere Schicksale niedergeschrieben hat, und in Cercis Lebensbuch, dessen richtiger Name, den er vermutlich vergessen hat, Cherky ist, steht seit jeher Le Esperidi. Cerci wurde 1976 in Bejaad, Marokko, geboren und kam 2006 nach Italien.
„Vom Zentrum Marokkos bis nach Italien und direkt in die Toskana. Was hat dich hierhergeführt?“
Ich bin 2006 in Italien angekommen, ich erinnere mich gut daran, weil Italien in jenem Jahr die Fußballweltmeisterschaft gewonnen hat, ein unvergessliches Datum! Ich wurde in Bejaad geboren, das etwa 160 km von Casablanca und 300 km von Marrakesch entfernt ist. Stellen sie sich vor: Ich war Journalist wie Sie und von 1999 bis 2005 Vorsitzender einer Fußballmannschaft. Ich war gerade 25, 26 Jahre alt. Ich war der jüngste Mannschaftsvorsitzender in Marokko. Ich habe immer viel gearbeitet, auf den Märkten mit meinem Vater, in einer Firma in Casablanca und ich habe auch an der Jugendpartei der Politik teilgenommen, einer Welt, aus der ich dann nur wegwollte, weil ich sie für zu verdorben hielt.
Die erste Region, in die ich gezogen bin, war gerade die Toskana: zuerst die Stadt Gabella, dann Bibbona. Dann zog ich nach Turin, um auf den Märkten der Via Dante Di Nanni und des Corso Racconigi zu arbeiten. Ich bin allein nach Italien aufgebrochen, und glauben Sie mir, es gab keinen Tag, an dem ich keine Arbeit hatte. Ich hatte immer eine Aufgabe und eine Beschäftigung; insbesondere auf den Turiner Märkten, wo mir sofort Verantwortung übertragen wurde und ich als Verwahrer der Lagerschlüssel auch bei starkem Regen oder Schneefall zur Arbeit antreten musste. Was habe ich in dieser Stadt unter der Kälte gelitten! Nach diesem Erlebnis bin ich dann im Sommer in die Toskana zurückgekehrt und dort geblieben.
„Wie kam es zu deiner Zusammenarbeit mit Le Esperidi?“
Zu Anfang habe ich mit dem Vater von Herrn Umberto, dem Advokat, zusammengearbeitet. Ich kümmerte mich um die Arbeit auf dem Land, insbesondere um die Olivenbäume. Ich habe schon immer gerne im Freien gearbeitet. Umberto war immer sehr beschäftigt, Büroangelegenheiten zu erledigen. Ich fragte ihn mehrmals, ob es die Möglichkeit gäbe, eine Beschäftigung auf dem Campingplatz für mich zu finden, doch er antwortete, dass sie dort schon zu viele seien und ich mich noch gedulden und warten müsse. Ich wollte nicht aufgeben, also tauchte ich regelmäßig vor seiner Tür auf, doch die Antwort war immer dieselbe. Also fing ich an, mich dem Verkauf am Strand zu widmen. Ich werde mich immer an diesen Morgen erinnern, als ich einer Dame aus Bergamo Waren verkaufte. Ich sah sie vollkommen in ihre Gedanken versunken, also war es für mich ganz natürlich, ihr zu sagen, sie solle nicht zu viel nachdenken, denn wenn man zu viel denkt, geht man häufig den falschen Weg. Am Nachmittag, als ich zwischen einem Verkauf und dem anderen bei der Dame vorbeischaute, um sie zu begrüßen und sie zu fragen, ob sie unbeschwerter sei, fand ich Herrn Umberto neben ihr und ich kehrte zum Angriff zurück: Ich wollte unbedingt für ihn arbeiten. Ich spielte alle meine Karten aus, erinnerte ihn daran, dass ich ihn mehrmals gebeten hatte, als Gärtner oder Zuständiger für die Müllsammlung angestellt zu werden. Ich habe selbst übers Fußball gesprochen. Jedem ist bekannt, welch großer Fiorentina-Fan Umberto ist und ich habe ihm von meiner Leidenschaft für Toro erzählt. Ich glaube, dass ich es bei dieser Gelegenheit endlich geschafft hatte, seine Aufmerksamkeit zu erregen, denn irgendwann unterbrach er mich und sagte mir, ich solle den nächsten Morgen in seinem Büro vorbeischauen. Ich wählte zu diesem Anlass mein bestes weißes Hemd und begann so meine erste Zusammenarbeit, jedoch nicht als Wartungstechniker, wie ich es vorgeschlagen hatte, sondern als Wächter des Strandes!
Zuerst zwei Stunden am Tag, dann nahm nach und nach die Verantwortung zu, bis ich schließlich den Strand den ganzen Tag verwaltete. Ich dachte, ich würde als Gärtner oder Müllmann angestellt, aber Umberto vertraute mir später an, dass er dank meiner selbstironischen und höflichen, doch hartnäckigen Art gespürt habe, dass anstelle eines Wartungstechnikers, eine Rolle, die bereits reichlich besetzt war, eine Persönlichkeit wie die meine sehr nützlich wäre, um alle Probleme zu bewältigen, die am Strand auftreten können.
Mein Maktub ereignete sich an diesem Frühlingssonntag mit all den günstigen Bedingungen, die es mir ermöglichten, meine Redegewandtheit, meine höfliche Beharrlichkeit und meine Fähigkeit zu zeigen, die Gemütsverfassung der Menschen wahrzunehmen. Dieser Moment war wirklich grundlegend, um Teil dieser großartigen Familie zu werden, die Le Esperidi für mich darstellt.
Von diesem Tag an hieß ich Cerci und nicht mehr Cherky, auch in Anlehnung an meinen Fußballglauben: Alessio Cerci, ein extrovertierter Stürmer wie ich, der in diesem Jahr von der Fiorentina zur Toro gewechselt war.
„Stimmt es, dass das Meer von Le Esperidi Geld auswirft?“
Er lacht …
In den letzten Jahren hatten wir ein großes Problem am Strand aufgrund der Meereserosion.
Jeden Tag versuche ich zu erkennen, ob das Meer den Sand abträgt oder ans Ufer bringt. Das interessiert Umberto besonders und ich weiß, wenn ich den Sand am Ufer berühre und ihn als weich empfinde, bedeutet das, dass das Meer den Sand dort ablagert, wenn er hingegen besonders hart erscheint, trägt das Meer ihn ab.
Eines Tages, da nur wenige Leute am Strand waren und ich daher meinen Posten für den Verleih von Sonnenschirmen verlassen konnte, machte ich mich so gegen zwei Uhr nachmittags zu einem Spaziergang am Meer auf, um die Situation zu überprüfen, und konnte zu meiner Freude feststellen, dass der Sand an der Strandlinie besonders weich war. Plötzlich bemerkte ich jedoch ein seltsames Phänomen: Das Wasser brachte nicht nur Sand, sondern auch zwei 50-Euro-Scheine ans Ufer!!! Ich dachte: Ich muss gut gewesen sein, dies ist eine Belohnung für mich, das Meer schenkt mir Geld!! Nicht einmal in meinen kühnsten Träumen habe ich jemals eine solche Szene erlebt. Aber mit noch größerem Erstaunen bemerkte ich, dass nach und nach immer mehr Geldscheine angeschwemmt wurden. Mit Hilfe unseres treuen Gastes Riccardo, hatte ich es geschafft, 1140 Euro zu sammeln! Die Szene hatte nun die Aufmerksamkeit der Anwesenden am Strand auf sich gezogen, niemand verstand, was geschah. Ich rief meinen Chef: „Umberto, das Meer wirft Geld aus, das Meer wirft Geld aus! Ich weiß nicht, ob es von der Mafia stammt oder was sonst passiert sein könnte. Komm sofort her!“
Nachdem ich die Scheine eingesammelt hatte, legte ich sie zum Trocknen auf den Tisch: Sie können sich die Szene vorstellen von mir, meinem Tisch und den in der Sonne zum Trocken ausgelegten Geldscheinen nur vorstellen! Umberto kam unverzüglich, versicherte mir, dass das Geld nicht von der Mafia oder anderen kriminellen Organisationen stammte und teilte mir mit, dass ich alles selbst behalten könne, wenn der Besitzer nicht gefunden würde. Doch ich sagte, und das kann Umberto bezeugen, dass ich nicht so viel Geld, das zudem nicht mir gehörte, in meinen Besitz nehmen wollte. Wie auch immer, kurz darauf tauchte eine sehr aufgeregte ausländische Dame auf, die sich als Besitzerin erklärte und uns auf ihren Mann verwies, der am Meer nach Geld und Dokumenten suchte. Sofort sprangen ein paar Kinder ins Wasser, um ihm bei der Suche zu helfen und sie fanden die Brieftasche mit Kreditkarten und Dokumenten: Wir hatten also die Bestätigung, dass das Geld ihnen gehörte, einer Schweizer Familie, die gerade erst mit ihrem Vater im Feriendorf angekommen war, ein junger Mann, noch keine dreißig Jahre alt, der aus Freude, endlich das Meer zu sehen, mitsamt seiner Brieftasche in das Wasser gesprungen war. Ich hatte das Glück, dass ich an jenem Ort gegewärtig und alleine war und niemand anderer die Möglichkeit hatte, dieses Geld einzusammeln, um es seinem rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben.
Die Dame gab mir eine Belohnung von 100 Euro und den Kindern 40 Euro. Ich habe die Geste geschätzt, aber ehrlich gesagt hätte ich keine Gegenleistung gewollt.
„Möchtest du noch andere Erinnerungen mit uns teilen?“
Im Leben habe ich gelernt, dass wir immer versuchen müssen, Probleme zu vermeiden: Ich warte nicht auf das Problem, ich versuche, es erst gar nicht aufkommen zu lassen.
Ich erinnere mich an eine von sintflutartigen Regenfällen verwüstete Nacht, in der ich, Herr Umberto, Paolo, ein Junge, der an der Bar arbeitete, und ein paar Wächter bis 4 Uhr morgens im Regen standen, um das Wasser abzuleiten und Überschwemmungen zu vermeiden. Dann wäre da noch die „berühmte“ Rettung; berühmt, weil über den Vorfall in einigen lokalen Zeitungen berichtet wurde. Ich half dem Rettungsschwimmer, ein peruanisches Mädchen zu retten, dem im Wasser schlecht wurde, und gemeinsam brachten wir es heil und sicher ans Ufer. Auch damals hatte ich das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.
Ich verrate dir ein Geheimnis: Seit ich in Italien angekommen bin, schreibe ich ein Buch über mein Leben … wer weiß, ob ich es nicht eines Tages veröffentlichen werde. Maktub.
S.A.